Ist das Diskriminierung?

Magazin 10. März 2021

„Jeder dritte Mensch wird diskriminiert. Kaum jemand nimmt davon Notiz. Wir
schon.“ – Das ist das Motto der Initiative „RESPEKT. Für Teilhabe und gegen
Diskriminierung“ im Landkreis Stendal. Denn Diskriminierung ist ein Thema,
überall.

Wie soll man damit umgehen, wenn man Diskriminierung erfahren oder beobachtet hat? Welche Anlaufstellen gibt es und was sind konkrete Maßnahmen, die schützen und Diskriminierung abbauen können? Maike Simla, Stella Khalafyan und Lucie Weiß schildern ihre bisherigen Erfahrungen aus dem noch jungen Projekt.

Frau Simla, das Thema Diskriminierung ist eine Herausforderung, auch im ländlichen Raum, und genau dort setzt Ihr Projekt an. Woran arbeiten Sie konkret?

Maike Simla: 2015 gab es eine großangelegte Studie, die gezeigt hat, dass jeder dritte Mensch in Deutschland Diskriminierungserfahrungen macht. Das ist natürlich auf unseren Landkreis übertragbar. Im ländlichen Raum kommt hinzu, dass kaum Unterstützungsmöglichkeiten für betroffene Menschen vorhanden
sind. Das heißt, dass betroffene Menschen mit ihren Erfahrungen allein bleiben; sie teilen sie höchstens mit Freunden oder ihrer Familie. Aber so bleibt Diskriminierung einfach unsichtbar. Alle haben das Gefühl, dass etwas passiert, aber niemand weiß so richtig, was passiert, weil niemand darüber spricht.
Genau da setzt unser Projekt an. Das Hochschulprojekt, für das ich arbeite, unterstützt das Netzwerk „Respekt. Für Teilhabe und gegen Diskriminierung“, an
dem verschiedene Partner und Partnerinnen aus der Zivilgesellschaft beteiligt sind. Wir wollen, dass Menschen im Landkreis anfangen, über Diskriminierung
zu sprechen, dass sie wissen, was Diskriminierung ist und wie sie dagegen aktiv werden können. Wir versuchen, mit verschiedenen Aktionen darauf aufmerksam zu machen, geben Workshops oder halten Vorträge. Es ist auch möglich, seine Erfahrungen online oder bei einer Anlaufstelle mitzuteilen. Zu meinen ganz konkreten Aufgaben als Hochschulmitarbeiterin gehören die Qualifikation der Anlaufstellen, Sensibilisierungsarbeit und die Dokumentation von Vorfällen. Wir planen, jedes Jahr einen Bericht zu erstellen, in dem aufgezeigt wird, welche Diskriminierung es im Landkreis gibt und in dem konkrete Maßnahmen abgeleitet werden, die zeigen, was dagegen getan werden sollte.

An dem Projekt sind viele Partnerinnen und Partner beteiligt, unter anderem auch der Landkreis Stendal. Frau Khalafyan, Sie sind die Integrationskoordinatorin des Landkreises, wie kam es denn dazu, dass auch Sie sich an dem Projekt beteiligt haben?

Stella Khalafyan: Das Wort „Integration“ sagt schon viel aus. Ich erlebe in meinem Arbeitsleben leider jeden Tag sehr viele Fälle von Diskriminierung und früher hatte ich immer das Gefühl, dass diese Fälle damit allein sind. Wir haben im Landkreis Stendal leider keine Beratungsstellen, daher war mein Gefühl, dass das Thema hier nicht genug aufgearbeitet wird. Wir arbeiten schon sehr lange in anderen Projekten mit der Hochschule Magdeburg-Stendal zusammen, daher wurden wir angesprochen, ob wir nicht mitwirken möchten. Das haben wir dann gerne zugesagt, da uns das Thema sehr wichtig ist.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Projektpartnern
ab, was ist der Anteil des Landkreises an dieser Initiative?

Stella Khalafyan: Wir sind selbst eine Anlaufstelle. Das heißt, dass Betroffene zu uns kommen können und uns ihre Erfahrungen mitteilen. Insgesamt beteiligt sich der Landkreis Stendal mit drei Anlaufstellen. Die erste Stelle ist bei den Integrationskoordinatoren und -koordinatorinnen, die zweite ist die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Stendal und die dritte Stelle ist der Teilhabemanager. Das ist unsere Hauptbeteiligung. Wir sind auch Netzwerkpartner, wir kommunizieren häufig miteinander und helfen uns gegenseitig. Das führt auch zu konkreten Schritten und Aktionen, die wir umsetzen.

Frau Simla, die gemeldeten Fälle werden im Rahmen des Projekts dokumentiert.
Wie sehen denn die wissenschaftliche Auseinandersetzung und Dokumentation aus und wie werden die Ergebnisse in konkrete Aktionen übersetzt?

Maike Simla: Wenn eine Person Diskriminierung erlebt oder auf der Straße mitbekommen hat, kann sie dies online eintragen. Das kann sie alleine von zuhause aus machen oder in einer Anlaufstelle. Diese Mitteilung wird online in einer Datenbank erfasst. Die gemeldeten Vorfälle werden anonymisiert und ich bereite die Meldungen dann für den Gesamtbericht auf, der einmal jährlich entsteht. Ich erstelle Statistiken, in denen deutlich wird, welche Gruppen im Landkreis von Diskriminierung betroffen sind, an welchen Orten das besonders häufig passiert und wie viel Diskriminierung stattfindet. Wenn wir die Erlaubnis haben, dann fassen wir auch Fälle als Fallbeschreibung zusammen, um ein Bild davon zu haben, wie die Diskriminierung im Landkreis aussieht. Wenn wir das erfasst haben, setzen wir uns als Netzwerk zusammen. Wir orientieren uns an wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema und beziehen die verschiedenen Betroffenenperspektiven mit ein und versuchen dann ganz konkrete Maßnahmen abzuleiten, die zu einer Veränderung führen können. Da wir aktuell im ersten Jahr
sind, ist der Prozess, dass wir in dieses Ableiten kommen, noch nicht passiert. Aktuell gibt es noch keine konkreten Maßnahmen, die wir empfehlen. Das wird
voraussichtlich im Mai 2020 der Fall sein. Dann werden wir unseren Bericht mit konkreten Forderungen und aus den Mitteilungen abgeleiteten Maßnahmen
veröffentlichen. Derzeit laufen die Vorbereitungen dafür, unter anderem werden zusätzliche Interviews zu Diskriminierung im Landkreis Stendal geführt. Außerdem stelle ich das Projekt weiterhin bei verschiedenen Anlässen vor, um die Möglichkeiten bekannt zu machen.

Frau Khalafyan, Sie haben eben schon kurz angerissen,welchen Stellenwert das Projekt für Sie als Integrationskoordinatorin hat und dass mittlerweile auch zunehmend über Diskriminierung gesprochen wird. Wo muss aber auch noch an anderer Stelle angesetzt werden, um gegen Diskriminierung vorzugehen und auch mehr Teilhabe zu ermöglichen?

Stella Khalafyan: Ein sehr wichtiger Aspekt ist es, die Diskriminierung nicht zu verschweigen. Ich erlebe leider jeden Tag Menschen, die Diskriminierung erlebt haben und darüber nicht gerne sprechen. Ich kann das verstehen, es gibt Gründe dafür und es ist nicht einfach, aber ich glaube, wir sollten noch mehr Mut haben, darüber zu sprechen und das auch zu dokumentieren. Nur dann können wir als Netzwerk statistische Instrumente erstellen, in die Öffentlichkeit gehen und etwas fordern. Das ist meiner Erfahrung nach eine der wichtigsten Lücken, die wir momentan haben. Es gibt viele Fälle, aber es wird nicht darüber gesprochen und berichtet.

Lucie, du bist studentische Mitarbeiterin im Projekt. Wo genau liegt denn dein Aufgabenbereich?

Lucie Weiß: Mein Aufgabenbereich ist relativ weit gefasst, ich habe meine Finger ein bisschen überall mit im Spiel. Einerseits bin ich als Anlaufstelle hier am Campus qualifiziert und nehme Diskriminierungsvorfälle auf, andererseits mache ich auch bei Infoständen viel Werbung für das Netzwerk. Wenn es dann um die Aufarbeitung der Fälle geht, werde ich mich auch damit beschäftigen.

Welche Erfahrungen hast du bisher im Rahmen dieser Tätigkeit gemacht, was ist dir aufgefallen?

Lucie Weiß: Mir ist auf jeden Fall aufgefallen, dass Diskriminierung im Landkreis ein Thema ist. Wir haben einige Meldungen zu verschiedensten Vorfällen bekommen. Das waren rassistische Vorfälle, Diskriminierungsvorfälle, homophobe Vorfälle, also alles Mögliche. Wir haben Meldungen bekommen von Menschen, die auf dem Amt benachteiligt wurden oder Meldungen über nicht barrierefreie
Orte. Uns ist aufgefallen, dass viele Leute gar nicht wissen, was Diskriminierung
überhaupt alles beinhaltet. Vielen ist nicht bewusst, dass sie diskriminiert werden, weil sie das oft einfach so hinnehmen. Einige sind total resigniert und wissen nicht, was sie für Möglichkeiten haben und wie sie weiter vorgehen können. Daher ist es uns wichtig, darauf weiter aufmerksam zu machen.

Frau Simla, wenn Sie die letzten Wochen und Monate nochmal Revue passieren lassen, was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse, mit denen Sie weiterarbeiten wollen?

Maike Simla: Wir haben es ja eigentlich schon geahnt, dass Diskriminierung
auf jeden Fall ein Thema im Landkreis ist. Das zeigen nun auch die eingegangenen
Mitteilungen. Es sind nicht super viele Meldungen, bisher sind
es um die 40 Stück, aber dafür, dass wir dieses Jahr erst eingestiegen sind,
sind es dann doch relativ viele. Was wir noch bemerkt haben, ist, dass die
Leute im Moment noch sehr resigniert sind. Sie fragen sich, was es ihnen
bringt, weil sie denken, dass sie sowieso keine Chance haben, gegen die erfahrene
Diskriminierung vorzugehen. Da wollen wir ansetzen und das auf jeden Fall ändern. Wir wollen deutlich machen, dass Betroffene zu uns kommen können, wenn etwas passiert. Unsere Nachricht ist, dass niemand Diskriminierung hinnehmen muss.


Dieser SCIENCE TALK fand anlässlich der „Connect you – Regionale Messe für Sozialwirtschaft und Wirtschaft“ auf dem Stendaler Campus der Hochschule Magdeburg-Stendal statt. Moderiert wurde das Gespräch von Cara Buchborn und Simeon Laux. Zu Gast auf der Science Couch: Maike Simla ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sie koordiniert das Netzwerk „RESPEKT. Für Teilhabe und gegen Diskriminierung“ im Rahmen des TransInno_
LSA-Projekts „Bildungslandschaften in ländlichen Räumen“. Lucie Weiß ist Studentin an der Hochschule Magdeburg- Stendal und arbeitet als studentische Mitarbeiterin im Projekt. Stella Khalafyan ist Integrationskoordinatorin des Landkreises Stendal. Der Landkreis Stendal ist Projektpartner des Netzwerks „RESPEKT“. Weitere Informationen finden Sie unter www.respekt-netzwerk.de oder unter www.transinno-lsa.de.

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