Von Mensch und Müll
Klimawandel, Nachhaltigkeit und „Fridays for Future“ – nur drei von vielen Schlagworten, wenn man an die anhaltende Klimadebatte denkt.
Konkrete Lösungsansätze, um dem geforderten Umdenken auch Taten folgen zu lassen, werden an der Hochschule Magdeburg-Stendal erforscht und entwickelt.
Prof. Dr. Gilian Gerke, Lars Tegtmeier und Max Gabriel werfen mit uns einen Blick hinter die Kulissen des Studiengangs Recycling- und Entsorgungsmanagement, berichten von aktuellen Forschungsprojekten, wie wir die Wegwerfgesellschaft hinter uns lassen können und wie ihre Vision für eine bessere Zukunft aussieht.
Frau Gerke, womit beschäftigen Sie sich hier am Fachbereich konkret in Bezug auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz?
Prof. Dr. Gilian Gerke: Wir beschäftigen uns mit Kunststoffrecycling und der Frage, was man damit machen kann, um langlebige Produkte daraus zu schaffen. Zum Beispiel die Kunststoffe, die im gelben Sack sind, wie könnte man die aufbereiten zu neuen Produkten, die wir dann wiederverwenden können.
Mal ganz grundsätzlich gefragt, inwiefern ist denn die Politik noch stärker gefragt, um das Thema Recycling voranzutreiben?
Prof. Dr. Gilian Gerke: Eigentlich muss mehr Druck kommen, also Gesetze und Kontrollen. Das ist immer das Wichtigste, das zu einer guten Abfallwirtschaft dazugehört. Beispielsweise haben wir seit 2019 ein Verpackungsgesetz mit höheren Recycling-Quoten. Das spielt uns in die Hand und ist genau der richtige Weg. Das Mate- rial sollte nicht nur einen thermischen Weg gehen, sondern muss auch verwertet werden und dafür ist die Gesetzgebung dann da.
Mit Blick auf unseren Plastikver- brauch im Alltag, was sind Ihre Standard-Tipps, um den Ver- brauch zu verringern?
Prof. Dr. Gilian Gerke: Auf jeden Fall aufmerksam sein. Es sollten möglichst wenig Kunststoffe gekauft werden. Viele Plastiktüten kann man sich sparen, etwa wenn man eine Tasche dabei hat oder zum losen Obst und Gemüse greift, statt eingepacktes zu nehmen. Da kann jeder von uns täglich sehr viel tun.
Welche konkreten Lösungsansätze werden hier an der Hochschule erforscht und entwickelt?
Prof. Dr. Gilian Gerke: Wir beschäftigen uns hier mit dem Ende der Wertstoffkette, und zwar damit, wie besser und in höheren Qualitäten sortiert und recycelt werden kann, damit wir nicht von einem Downcycling, sondern von einem Upcycling sprechen.
Die Bewegung „Fridays for Future“ ist gerade in aller Munde und geht durch die Medien, man kann also durchaus von einer, zumindest in Teilen, zunehmenden Sensibilisierung für Nachhaltigkeit und einen besseren Umgang mit der Umwelt sprechen. Inwiefern ist das aus Ihrer und eurer Sicht ein wichtiger Schritt, um von der Wegwerfgesellschaft wegzukommen und im Kollektiv nachhaltiger zu agieren?
Max Gabriel: Ich glaube auf jeden Fall, dass eine Sensibilisierung der Gesellschaft bei dem Thema hilft. Es hilft, Leute darauf aufmerksam zu machen, damit weniger Abfälle produziert werden. Denn das sind so gesehen die besten Abfälle. Ich glaube, dass eine zunehmende Sensibilisierung durch solche Demonstrationen geschehen kann.
Wie sehen Sie das? Würden Sie sagen, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein oder kann das tatsächlich zu einem Umdenken in der Gesellschaft führen?
Prof. Dr. Gilian Gerke: Ich finde es toll, dass endlich wieder Leute auf die Straße gehen. Ich kenne das aus meiner Schulzeit, da sind wir als Schüler und Schülerinnen auch auf die Straße gegangen und dann war ganz lange nichts. Deshalb finde ich es gut, dass endlich wieder etwas passiert. Dass junge Leute sagen: „Ihr da oben, was macht ihr da eigentlich?“ – und dass wir mitgerissen werden. Das ist ein kleiner Schritt, aber ein ganz wichtiger. Das sieht man auch bei der Europawahl. Was ist wichtig? Die Umwelt ist uns wichtig, denn wir brauchen sie für die Zukunft, wenn wir weiter gut leben wollen.
Lars, du bist Doktorand hier am Fachbereich. Wo- mit beschäftigst du dich hier im Rahmen deiner Doktorarbeit und welchen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit dabei?
Lars Tegtmeier: In meiner Promotion geht es um Langzeitversuche von Kunststoff in Gewässern. Das hat also auch einen direkten Bezug zur Umwelt. Dabei werden Kunststoffproben sowohl bei uns im Labor in Aquarien als auch in der Ostsee und in der Elbe verbracht. Dann wird untersucht, was mit den Materialien passiert, welche thermischen und mechanischen Einflüsse wirken und ob das Material danach noch recycelt werden kann. Um wieder den Bezug zur Umwelt zu bekommen, es gibt viele Aktionen, bei denen Abfälle aus dem Meer eingesammelt werden. Dabei stellt sich aber die nächste Frage, nämlich was danach mit den Materialien passiert. In der Promotion soll untersucht werden, ob diese Materialien überhaupt noch recycelt werden können und ob es noch einen Sinn hat, diese werkstofflich zu verarbeiten.
Das klingt nach einem spannenden und wichtigen Projekt. Es gibt mittlerweile Initiativen wie „The Ocean Cleanup“, die Plastikmüll in den Ozeanen einsammeln. Inwiefern ist das eine Lösung, um die Weltmeere vom Müll zu befreien und wie realistisch ist das in den nächsten Jahren?
Lars Tegtmeier: Bei der Frage, ob es realistisch ist, damit die Weltmeere zu reinigen, bin ich immer leicht pessimistisch. Ich glaube nicht, dass das so viel ausmachen wird. Letztendlich tragen wir täglich so viel Abfall in unsere Umwelt und damit auch in die Meere, dass wir da niemals gegen ankommen werden. Es ist eine schöne Aktion, es passiert etwas und man kann aktiv werden, allerdings sehe ich das als Tropfen auf den heißen Stein. Es rüttelt die Leute aber wach und schafft ein Bewusstsein. Und wenn die Leute irgendwann verstehen, dass der Abfall nicht in die Umwelt und nicht ins Meer gehört, dann ist das schon ein sehr großer Schritt, den wir gemacht haben, um unsere Meere letzten Endes vom Abfall zu befreien.
Max, du bist hier als studentischer Mitarbeiter tätig. Wie sieht deine Arbeit hier im Fachbereich konkret aus?
Max Gabriel: Ich unterstütze Frau Gerke und Lars bei ihrer Arbeit. Ich vermesse zum Beispiel im Labor Proben oder übernehme Recherchearbeiten für die Hochschule. Bei Projekten wie „fishing for litter“ werden auch die Studierenden mit eingebunden, um dann in Gruppen an die Nordsee zu fahren und dort die gesammelten Proben zu begutachten und diese einer Datierung zu unterziehen.
Das heißt, ihr seid bei eurer täglichen Arbeit viel im Feld unterwegs und draußen vor Ort?
Max Gabriel: Ja, genau.
Was kann auch die Hochschule als Forschungsstätte beisteuern, um das Thema Nachhaltigkeit weiter voranzutreiben? Was ist da in nächster Zeit geplant?
Prof. Dr. Gilian Gerke: Wir wollen im Bereich des hochwertigen Recyclings weitermachen. Ganz wichtig ist auch, im internationalen Bereich dabei zu sein. Der größte Eintrag an Abfällen in die Weltmeere kommt aus Asien. Dort möchten wir Länder dabei unterstützen, abfallwirtschaftliche Systeme aufzubauen, die das selbst nicht stemmen könnten. Kuba und Indonesien sind da nur zwei Beispiele, wo wir tätig sind. Weiterhin arbeiten wir in zwei Pfeilern der Umweltbildung. Wir wollen Kinder, Jugendliche und Erwachsene bilden und ihnen erklären, was es heißt, die Umwelt zu schützen und ihnen beibringen, wie wir mit unseren Abfällen umgehen.
Hier im Labor hängen Joghurtbecher, die als Lampen umfunktioniert sind. Welche Beispiele gibt es noch, um aus Dingen, die man eigentlich entsorgt, etwas Schönes zu gestalten?
Prof. Dr. Gilian Gerke: Da gibt es ganz viele Ansätze. Aus alten Tetrapacks basteln wir zum Beispiel mit Kindern Portemonees. Eine unserer Studentinnen hat aus alten Gläsern ein Gewürzregal gebaut. Eigentlich kann man aus allem irgendwas machen, man muss nur ein bisschen Fantasie haben.
Das Motto der „Langen Nacht der Wissenschaft“ in diesem Jahr lautet: „Wie wollen wir morgen leben?“. Welche Visionen haben Sie und habt ihr für die Zukunft?
Max Gabriel: Ich persönlich möchte gerne noch innerhalb meines Studiums ein Auslandssemester machen und könnte mir gut vorstellen, nach dem Studium für ein paar Jahre im Ausland zu arbeiten. Gerade in Ländern, in denen die Abfallentsorgungssysteme noch nicht so weit entwickelt sind wie hier, weil ich mir vorstelle, dass man dort mit seiner Arbeit noch einen sehr viel größeren Impact als hier in Deutschland hat, wo das System schon sehr viel weiterentwickelt ist.
Lars Tegtmeier: Persönlich würde ich mich nach der Promotion gerne bei einem großen Kunststoffrecycler sehen. Ich möchte das Wissen, das ich hier gesammelt habe, gerne umsetzen und einen Beitrag leisten, das Recyceln zu verbessern. Auf der anderen Seite würde ich es gerne sehen, wenn wir in der Zukunft weniger Verpackungsabfälle hätten und wenn Hersteller Produkte entwickeln, die wieder recycelt werden können.
Prof. Dr. Gilian Gerke: Zum einen bin ich schon mal ziemlich im Leben angekommen. Ich habe den tollsten Beruf, ich arbeite mit jungen Menschen und ich arbeite mit dem tollsten Material. Von daher bin ich ziemlich zufrieden. Und wenn ich nicht mehr arbeite, dann möchte ich gerne ein kleines Haus haben, mit Blick auf das Meer, mit einem Kräutergarten und die Weise mit grauen Haaren im Dorf sein und mein Wissen weitergeben.
Max Gabriel: Ich möchte noch etwas zu meiner Vision für die Zukunft ergänzen. Ich wünsche mir, dass es eine allgemeine Sensibilisierung der Gesellschaft zu diesem Thema gibt. Wir haben einen Einfluss auf die Umwelt und sollten versuchen, sie für die kommenden Generationen zu erhalten. Deswegen hoffe ich, dass wir uns von der Wegwerfgesellschaft entfernen.
Dieser SCIENCE TALK fand anlässlich der „Langen Nacht der Wissenschaft“ im Mai 2019 auf dem Campus der Hochschule Magdeburg-Stendal statt. Moderiert wurde das Gespräch von Vera Reinicke und Simeon Laux.
Zu Gast auf der Science Couch:
Prof. Dr. Gilian Gerke leitet den Studiengang Recycling und Entsorgungsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sie lehrt und forscht in den Bereichen Ressourcenwirtschaft, Recycling/Verwertung, Nachhaltigkeit und Ökobilanzierung. 2019 erhielt sie den Forschungspreis der Hochschule.
Lars Tegtmeier ist Doktorand am Fachbereich Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Max Gabriel studiert Recycling und Entsorgungsmanagement und ist zudem als studentischer Mitarbeiter am Fachbereich tätig.